Umwelt, Macht und Medizin

Zur Würdigung des Lebenswerks von Karl-Rainer Fabig

Buchumschlag

Der Band würdigt die wegweisenden Arbeiten des Hamburger Arztes und Umweltmediziners zur Problematik der Intoxination der Arbeits- ebenso wie der Umwelt. Gerade in Hamburg dürfte er von großem Interesse sein.

Beschreibung

Der Band ist dem Umweltmediziner Karl-Rainer Fabig (1943-2005) gewidmet, der von 1977 bis 2005 in Hamburg als niedergelassener Arzt gewirkt hat, und der sich darüber hinaus große Verdienste um die Thematisierung und Erforschung chemischer Intoxinationen erworben hat. Er gilt als einer der Pioniere der Untersuchung gesundheitlicher Gefährdungen in Folge von Intoxinationen durch Holzschutzmittel in Innenräumen und an Arbeitsplätzen in der chlorchemischen Industrie ebenso wie durch die Versprühung von Herbiziden im Vietnamkrieg und durch Dioxin in der Umwelt. Die im ersten Teil des Bandes zusammengestellten Beiträge Fabigs zu diesen Themen belegen eindrucksvoll, dass er diese Fragen nicht allein aus wissenschaftlichem Interesse verfolgte, sondern dass er mit persönlichem Engagement auch den politisch-gesellschaftlichen Ursachen den Gefahren einer „Vergiftung der Welt“ durch die „Chemisierung der Umwelt“ nachging. Fabig beeindruckte offenbar nicht nur durch seine wissenschaftlichen Arbeiten und seinen persönlichen Mut, den er z.B. im Auftreten als Gutachter vor Gerichten und auf Tagungen immer wieder unter Beweis stellte, er konnte, den Aussagen in vielen Beiträgen dieses Sammelbandes zu Folge, auch als aufmerksamer Arzt überzeugen, der die Leiden tausender von Patienten zu lindern vermochte, darunter nicht zuletzt jene, die unter dem Multiplen Chemikalien-Sensitivitäts-Syndrom (MCS) litten.

Der Epidemiologe Rainer Frentzel-Beyme stellt in seinem Beitrag Fabig in eine Reihe mit den „klassischen Sozialmedizinern und Armenärzten der Weimarer Republik“ (S. 145). Der Vorsitzende des Ausschusses Umweltmedizin der Ärztekammer Hamburg, Albrecht zum Winkel, betont in seinem Geleitwort unter anderem die wesentliche Rolle, die Fabig „für die Anerkennung und Weiterentwicklung der Umweltmedizin“ gehabt habe und betont, dass er „wesentlich zur wissenschaftlichen Basis der Faches Umweltmedizin beigetragen“ habe (S. 8). Der Hamburger Arbeitsmediziner Alfred Manz charakterisiert in einem Interview Karl-Rainer Fabig, mit dem er in Zusammenhang mit dem Boehringer-Skandal in Kontakt gekommen war: „Ich hatte festgestellt, dass sich dieser Arzt in einer geradezu aufopfernden Weise speziell um die durch Dioxine, aber auch durch andere Industriegifte geschädigten Menschen kümmerte. Er leistete diesen Beistand meist unentgeltlich und über die von einem praktischen Arzt zu erwartenden Hilfen hinaus. Dabei verfügte er über ein gediegenes Fachwissen über die bei solchen Vergiftungen ablaufenden pathophysiologischen Vorgänge. Insgesamt verkörperte er damit das Idealbild eines Arztes. Viele der ehemaligen Boehringer-Mitarbeiter fanden hier ihre seelische Hilfe und gewannen durch seinen Beistand wieder Selbstvertrauen und mut zum Leben. (...) Ich bedaure, dass ihm zu Lebzeiten von offizieller Seite nicht jene Anerkennung zuteil wurde, die er verdient hätte. (...) Ich begrüße es deswegen ganz besonders, dass Herrn Kollegen Fabig mit diesem Buch nachträglich ein ehrendes Denkmal gesetzt wird.“ (S. 196 f.)

Der Band, der sich mit dem ärztlichen, wissenschaftlichen und politischen Handeln Karl-Rainer Fabigs beschäftigt, lässt sich in zwei Teile gliedern. Im ersten Teil finden sich fünf zentrale Veröffentlichungen bzw. Vorträge von Karl-Rainer Fabig aus den letzten Jahren sowie ein Verzeichnis seiner Schriften und einige biographische Notizen (von Günter Giesenfeld). Der zweite Teil beinhaltet zahlreiche Beiträge, die in ihrer inhaltlichen Ausrichtung im Wesentlichen die verschiedenen Arbeitsschwerpunkte Fabigs reflektieren. Die Spannweite der Themen ist dabei ebenso weit gefächert wie das Spektrum der Autorinnen und Autoren, es reicht von der Medizin und den Naturwissenschaften über Jurisprudenz und Politik bis zu den Sozialwissenschaften.

Eine erste Gruppe von Beiträgen befasst sich mit Fabigs medizinischen Untersuchungen zur neurotoxikologischen Kontamination auf Grund von Innenraum- und Arbeitsplatzbelastungen sowie zur Multiplen Chemikalien-Sensitivität (MCS). Interessant im Hinblick auf das politisch-gesellschaftliche Spannungsfeld, innerhalb dessen sich die Thematisierung solcher Probleme bewegt, sind zum einen das Interview mit ehemaligen Beschäftigten des Zweigwerks Hamburg-Moorfleet der Firma C.H. Boehringer Sohn, das 1984 geschlossen wurde, nachdem die gesundheitlichen Schädigungen durch Dioxin bei der Herstellung von Insektiziden und Herbiziden bekannt und in der Öffentlichkeit zum Skandal geworden waren und zum anderen das Interview mit dem Arbeitsmediziner Prof. Dr. Manz, der 1987 im Auftrag des Hamburger Senats die Beratungsstelle für die ehemaligen Mitarbeiter dieses Werkes aufgebaut hatte und anschließend eine ganze Reihe von einschlägigen Untersuchungen durchgeführt hat.

Eine zweite Gruppe von Beiträgen befasst sich mit den Wirkungen der dioxinhaltigen Herbizide, die während des Vietnamkrieges von den US-Streitkräften in Vietnam in der Absicht versprüht wurden, die dichte Vegetation des Dschungels zu zerstören, um dem Gegner die Deckung zu nehmen und ihn besser treffen zu können. Durch diesen Angriff auf die Ökosysteme Vietnams („Ökozid“) wurde indes nicht nur der Anbau von Reis, Kokos und Gemüse vielfach zerstört, sondern es kam darüber hinaus zu akuten Gesundheitsschäden bei der betroffenen Bevölkerung sowie zu schweren gesundheitlichen Spätfolgen z.B. in Form von Krebs, Missbildungen und Erbgutschäden. Diese Fragen werden durch mehrere kritische Beiträge in dem Band aus medizinischer und biologischer sowie aus rechtlicher und politischer Perspektive exemplarisch thematisiert. Fabig hatte schon früh die Ähnlichkeiten zwischen den neurologischen und neuropsychologischen Krankheitsbildern dioxingeschädigter Chemiearbeiter und der in Folge der in Vietnam versprühten Giftstoffe erkrankten Betroffenen analysiert und diese Folgen des Vietnamkrieges in zahlreichen Vorträgen und Kommentaren kritisiert.

Die dritte Gruppe von Beiträgen des Sammelbandes behandelt die juristischen und politischen Probleme beim Umgang mit den Folgen gesundheitlicher Gefährdungen durch chemische Intoxinationen. Interessant ist in diesem Zusammenhang z.B. der Beitrag des Bundestagsabgeordneten Horst Peter über die parlamentarische Diskussion einer Petition zu den Folgen eines Dioxinunfalls in einem chemischen Betrieb. Eindrucksvoll ist auch der Beitrag des federführenden Staatsanwalts Erich Schöndorf in dem Aufsehen erregenden Frankfurter Holzschutzmittelprozess, der nicht nur die mutige Rolle Fabigs als Gutachter würdigt, sondern der vor allem auf die Schwierigkeiten der Justiz eingeht, den geschädigten Betroffenen „gerecht“ zu werden. Die Situation der Betroffenen schildert eindringlich der Beitrag von Peter Binz, der die Probleme einer vielfach unzureichenden sozialrechtlichen Würdigung der existenziellen Bedrohungen, die von gesundheitlichen Schädigungen durch giftige Stoffe am Arbeitsplatz ausgehen, an bedrückenden Fallbeispielen beklagt.

Schließlich widmen sich mehrere Beiträge der Theorie und Praxis kritischer Wissenschaft im Hinblick auf das Verständnis der Zusammenhänge von Natur, Mensch und Gesellschaft und nehmen darin Bezug auf die von Fabig realisierte Einheit von wissenschaftlicher, praktischer und theoretischer Kritik gestörter Stoffwechselkreisläufe sowie auf Überlegungen zu einer Kritik der „Nichtangemessenheit gesellschaftlicher Verhältnisse bezüglich grundlegender Selbsterhaltungsbedürfnisse“ (Tjaden) von Mensch und außermenschlicher Natur. Dazu gehören der Beitrag von Antje Bultmann mit seinem Plädoyer für eine „transparente und lebensfreundliche Wissenschaft und Technik“ ebenso wie die Hinweise von Rolf Czeskleba-Dupont auf die Bedeutung Fabigs im Rahmen neuerer Ansätze einer „post normal science“ im europäischen Verbund sowie insbesondere die Überlegungen von Margarete Tjaden-Steinhauer und Karl Hermann Tjaden, die am Beispiel der Problematik toxischer Chemikalien einen interdisziplinären Bezugsrahmen für das Verständnis der Wechselwirkungen und Zusammenhänge zwischen „menschlichen Lebenswelten, außermenschlicher Natur und gesellschaftlichen Verfügungsgewalten“ skizzieren, auf den Karl-Rainer Fabig in seinen letzten Vorträgen ausdrücklich Bezug nahm.

Dem überaus lesenswerten und gut lesbaren Band, der eine Fülle von Beiträgen kritischer Wissenschaft und Praxis vereinigt, ist eine möglichst weite Verbreitung zu wünschen. Gerade in Hamburg verdient der Band besondere Beachtung, denn das Wirken von Karl-Rainer Fabig ist entscheidend verbunden mit der Schließung des Hamburger Boehringer Werks wegen Dioxinverseuchung 1984 und mit der 1987 erfolgten Schließung von Einrichtungen für Kinder in Hamburg auf Grund von dioxinbelasteten Innenraumanstrichen sowie nicht zuletzt mit seinem engagierten Eintreten für seine Patienten als niedergelassener Arzt in dieser Stadt.


Alfred Oppolzer

Autor

Antia Fabig und Kathrin Otte (Hrsg.)

Verlag

Wilfried Jenior, Kassel

Version

1. Aufl.

Preis

€ 18,00

ISBN

978-3-934377-24-0